MEDAN - Die Studie
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MEdizinische DAtenanalyse mit neuronalen Netzen (MEDAN)

Analyse septischer Krankheitsbilder mittels Neuronaler Netze
Einfluß auf Therapie und Prognose

Projektbeschreibung
 

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1 Zusammenfassung

Das Überleben des Intensivpatienten wird entscheidend vom Auftreten einer Sepsis beeinflußt. Das von der Sepsis verursachte Multiorganversagen prägt wesentlich das Bild der Intensivmedizin und ist mit einer hohen Letalität assoziiert. Ein entscheidender Durchbruch in der Behandlung der Sepsis ist bisher nicht gelungen, obwohl weltweit nach neuen Ansätzen gesucht wird. Verschiedene Score-Systeme (APACHE; TISS; MOF) sollen dabei helfen, die Prognose für den Patienten hinsichtlich eines komplizierten bzw. letalen Verlaufs früher und besser zu fassen, als es vom klinischen Bild her möglich ist. Dies impliziert die Verbesserung der Prognose durch Benutzung von Scores, was in der klinischen Realität jedoch nicht der Fall ist. Von wesentlicher Bedeutung für dieses Problem dürfte die Dynamik der bisher noch ungenügend verstandenen pathophysiologischen Sequenzen der Mediatorkaskaden im Rahmen des septischen Geschehens sein.

Die Konfiguration und Entwicklung eines Prognosesystems auf der Grundlage einer vorhandenen großen Datenbank von chirurgischen Intensivpatienten greift diesen Gedanken auf mit dem Ziel, für jeden individuellen Patienten vor dem eigentlichen klinischen Ereignis frühzeitig eine Prognose hinsichtlich komplizierter septischer Krankheitsverläufe zu stellen und entsprechende Therapieoptionen zu unterbreiten. Angestrebt wird dabei nicht nur ein zufriedenstellendes Black-box Verhalten des Prognosesystems, das mittels eines Neuronalen Netzes realisiert werden soll, sondern darüber hinaus auch die medizinische Deutung der innerhalb des Systems kodierten, zeitlichen Musterprimitive, um typische tödliche Verlaufsmuster bereits am ersten Tag des Intensivaufenthaltes individuell zu erschließen und basierend auf diesem Wissen die Letalität des Intensivpatienten zu senken.

 

2  Ansätze der Intensivmedizin

In der Intensivmedizin wird die Letalität der Patienten hauptsächlich davon bestimmt, ob es zur Ausbildung eines Multiorganversagens (Multiple Organ Failure, MOF) kommt und wie schwer dieses ausgeprägt ist [1,2,3]. Nach einer Studie von Knaus et al., in der 2.719 Patienten mit Versagen eines oder mehrerer Organsysteme untersucht wurden, ergab sich eine Letalität von 22 % für Patienten, bei denen nur an einem einzigen Tag das Versagen eines einzelnen Organsystemes registriert wurde. Wenn zwei oder gar drei Organsysteme betroffen waren, stieg die Mortalität auf 52 % bzw. 80 % an [4].

 

2.1 Multiorganversagen

Patienten mit Multiorganversagen bieten die klassischen Entzündungszeichen Fieber, generalisierte Vasodilatation, Ödeme und die Störung eines oder mehrerer Organsysteme (functio laesa). Im Obduktionsmaterial von Patienten, die innerhalb weniger Stunden nach einem Polytrauma im Multiorganversagen sterben, finden sich histologisch in allen lebenswichtigen Organen Granulozyteninfiltrationen und Ödeme [5]. Dies legt die Annahme nahe, das MOF als einen generalisierten, autoaggressiven Entzündungsprozeß anzusehen [6,7,8].

Goris et al. verglichen das MOF im Rahmen septischer Geschehen bei Polytraumatisierten und bei Patienten mit postoperativen Peritonitiden [8]: Bei der letztgenannten Gruppe kam es zwar häufiger zur Entwicklung einer Sepsis und damit eines MOF, wesentlich für den weiteren Verlauf ist aber letztlich nur der Schweregrad des MOF selbst. Als häufigste Todesursache wird das Versagen des kardiozirkulatorischen Systemes angegeben, gefolgt vom Versagen der Nieren oder des gastrointestinalen Systemes, danach erst wird das Versagen der Lungen oder der Leber genannt.

In Anbetracht der schon beschriebenen entscheidenden Bedeutung, die das Auftreten eines Multiorganversagens für den Verlauf schwerer Erkrankungen hat, wurde eine Reihe von Versuchen unternommen, Möglichkeiten zur Vorhersage des MOF zu finden. Von großem Interesse ist dabei eine frühzeitige, möglichst korrekte Vorwarnung. Damit wäre es eventuell möglich, die Therapie schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt so zu gestalten, daß noch vor der Entwicklung eines MOF-Syndromes diesem gezielt entgegengewirkt werden könnte.

 

2.2 Score-Systeme

Zum Zweck der Verlaufsdokumentation und gerade auch zur prognostischen Einschätzung in der frühen Behandlungsphase wurden verschiedene Score-Systeme entwickelt. Erwähnt seien das APACHE II-System (Acute Physiology and Chronic Health Evaluation System II [9]), der Multiple-Organ Failure-Score (MOF-Score [8]), der Sepsisscore von Elebute und Stoner [10], der Mannheim Peritonitis Index (MPI [11]) und der Injury Severity Score (ISS [12]). Allen gemeinsam ist, daß sie neben objektiven Meßwerten auch subjektive Parameter einschließen. Außerdem sind sie sehr umfangreich und damit in der Anwendung zeitaufwendig, was für den klinischen Alltag sehr problematisch ist [13].

Interessant in diesem Zusammenhang ist eine Untersuchung von Murray et al. [14]: Die Wahrscheinlichkeit einer richtigen Vorhersage auf das Überleben oder Sterben von Intensivpatienten wurde zwischen APACHE II und erfahrenen Fachschwestern für Intensivpflege verglichen. Dazu wurde die Prognose am Tag der Aufnahme auf die Intensivpflegeeinheit gestellt, zum einen mittels APACHE II und zum anderen durch die bei der Aufnahme verantwortliche Intensivschwester. Von 799 Patienten überlebten 743 (93 %), die restlichen 56 (7 %) verstarben. Die Quoten einer korrekten Vorhersage des Überlebens lagen bei 97 % für APACHE II und bei 96 % für die Fachschwestern. Für die korrekte Vorhersage des letalen Verlaufes lagen die Quoten bei 58 % für APACHE II und bei 62 % für die Fachschwestern.

Auffällig ist die deutlich niedrigere Trefferquote für die korrekte Vorhersage eines letalen Verlaufes. Bei 93 % Überlebenden hat dagegen die Aussage "der Patient wird überleben" von vornherein recht gute Chancen auf Bestätigung und somit auch automatisch gute Trefferquoten. Damit relativieren sich dann auch die hohen Trefferquoten für eine insgesamt korrekte Vorhersage.

Vor allen Dingen ist aber auch ein hochentwickelter Score wie der APACHE II nicht besser als die rein subjektive Einschätzung des erfahrenen Beobachters, sondern ungefähr gleich zu bewerten. So ist es eines der Ziele der Bemühungen, bessere Vorhersagemöglichkeiten für die Abschätzung des Verlaufes zu erreichen.

Zusammenfassend muß konstatiert werden, daß es zur Zeit keine guten Möglichkeiten gibt vorauszusagen, welche Patienten eine Sepsis und ein Multiorganversagen entwickeln. Zum Beispiel entwickeln Patienten mit einer schweren Infektion nie eine Sepsis, während andere mit einer scheinbar milden Infektion eine schwere Sepsis entwickeln können[16]. Dabei erlauben die etablierten Scores und Modelle keine genügende Diskriminierung, um eine Prognose für den individuellen Patienten abzugeben [17], ihr Einsatz ist nur für Patientengruppen statthaft.

Mit Hilfe der aktuellen Modelle der Neuroinformatik zur multivariablen Analyse sollen nun im Vergleich zu bisherigen Modellen wie APACHE II/III oder anderen Wahrscheinlichkeitsmodellen [18] eine wesentlich frühere individuelle Prognosestellung und darüber hinaus auch Therapievorschläge und -entscheidungen, eröffnet werden. Diese sollen den behandelnden Arzt dabei in seinem eigenverantwortlichen Handeln nicht einschränken oder ersetzen, sondern als Option und Unterstützung im Rahmen der klinischen Situation ihm zusätzliche Hilfestellung geben und Alternativen aufzeigen.

Angestrebt wird dabei nicht nur ein zufriedenstellendes black-box Verhalten eines trainierten neuronalen Netzes [68], sondern auch die verständliche Erschließung und Deutung der in den Gewichten codierten, zeitlichen Musterprimitive, um typische, schwere Verlaufsmuster zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu bestimmen und so eine Verbesserung der Intensivbetreuung zu ermöglichen.

Hauptziel unseres Projekts ist also, durch Integration eines wissensbasierten Systems in den klinischen Routinebetrieb die Letalität auf Intensivstationen zu senken.

 

2.3 Medizinische Vorstudien

Die AG Intensivmedizin hat hinsichtlich der Epidemiologie des Multiorganversagens, entsprechenden Scores, Klassifikationen und klinischem Korrelat im Zeitraum vom 1. Dezember 1991 bis 30. November 1992 bei insgesamt 1.572 Patienten unserer Intensivstation eine computergestützte Analyse durchgeführt, deren Ergebnisse eine erhebliche Diskrepanz zwischen Klassifizierung, berechnetem Score-Werten und klinischem Korrelat zeigen.(Vortrag: Deutscher Chirurgenkongreß 1995 Berlin [40])

In einer weiteren Studie wurden Markov-Modelle zur Prognoseabschätzung eingesetzt. Diese Arbeit wurde mit dem Ausstellungspreis der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 1996 ausgezeichnet

Seit 1.11.1993 werden prospektiv alle allgemeinchirurgischen Patienten der chirurgischen Intensivstation des Klinikums der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt/Main erfaßt. Hierbei werden pro Tag und Patient bis zu 345 Parameter aus folgenden Kategorien computergestützt dokumentiert, die als Grundlage des Projekts dienen soll, eine frühzeitige, individuelle Prognose mittels eines Neuronalen Netzes zu stellen:

  • Aufnahmedaten
  • Anamnese
  • Diagnose(n) OP und Narkose
  • therapeutischer und pflegerischer Aufwand
  • Beatmungsparameter und Blutgasanalysen
  • klinische Befunde und Vitalparameter
  • mikrobiologische Befunde
  • klinische Chemie
  • Pharmakotherapie
  • Ernährung (enteral/parenteral)
  • Bilanz und CVVH/Dialyse

Zur Erfassung der Daten wird das Datenbank-Programm "Starbase" unter MS Windows 3.11 bzw. Windows 95 verwendet. Die Speicherung der Daten erfolgt in 12 dBase-IV-Datenbankdateien, entsprechend den o.g. Kategorien. Als Computer wird ein Notebook mit Intel-486-Prozessor und 8 MB RAM verwendet. Die Auswertung der Daten wird im wesentlichen mit dem Tabellenkalkulationsprogramm MS Excel 7.0 vorgenommen.

Folgende Definitionen werden verwendet:

Systemic Inflammatory Response Syndrome (SIRS)

SIRS manifestiert sich mit zwei oder mehr der folgenden Bedingungen:

  • Temperatur > 38 °C oder < 36 °C
  • Herzfrequenz > 90/Min.
  • Atemfrequenz > 20/Min. oder paCO2 < 32 Torr (< 4.3 kpa)
  • Leukozyten > 12000, < 4000 oder > 10 % unreife Formen

Sepsis

Die systemische Antwort auf eine Infektion. Diese ist mit zwei oder mehr der folgenden Bedingungen als ein Ergebnis einer Infektion definiert.

  • Temperatur > 38 °C oder < 36 °C
  • Herzfrequenz > 90/Min.
  • Atemfrequenz > 20/Min. oder paCO2 < 32 Torr (< 4.3 kpa)
  • Leukozyten > 12000, < 4000 oder > 10 % unreife Formen

Septischer Schock

Sepsis mit Hypotension trotz adäquatem Flüssigkeitsersatz zusammen mit Perfusionsstörungen, die eine Lactatacidose, eine Oligurie oder eine akute Veränderung des mentalen Status miteinschließen. Patienten, die inotrope oder vasopressorische Medikamente bekommen, dürfen zum Zeitpunkt der Perfusionsstörungen nicht hypotensiv sein.

Infektion

Mikrobielles Phänomen, das durch eine inflammatorische Antwort auf die Gegenwart von Mikroorganismen oder durch die Invasion normalerweise sterilen Gewebes durch diese Organismen charakterisiert ist.

Hypotension

Ein systolischer Blutdruck von < 90 mmHg oder eine Reduktion von mehr als 40 mmHg vom Ausgangswert in Abwesenheit anderer Ursachen für die Hypotension.

Statistik

2 - Test und U - Test nach Wilcoxon, Mann und Whitney: xp < 0,05. Sensitivität und Spezifität werden nach bekannten Formeln berechnet.

Ergebnisse (siehe Tabelle)

Im Zeitraum 1.11.1993 - 30.10.1995 entwickelten 235 Patienten (43,6 %) kein SIRS, 2 Patienten verstarben in dieser Gruppe, 231 Patienten (42,9 %) entwickelten ein SIRS, 12 Patienten verstarben in dieser Gruppe (5,2 %), 73 Patienten entwickelten eine Sepsis, davon 52 Patienten einen septischen Schock mit einer Letalität von 50 %. Diese Patienten sind in Tabelle 1 detailliert analysiert.

Der APACHE II - Wert betrug in der Gruppe septischer Schock - Überlebend 23,8 (11-38), bei den Nicht-Überlebenden 25,7 (19-33) am 1. Tag des Intensivaufenthaltes und ist damit nicht signifikant unterschiedlich

Nach Analyse der epidemiologischen Daten der Patienten im Zeitraum 1.11.93-30.10.95 wurde ein Neuronales Netz mit der Aufgabe etabliert, die Prognose von Patienten am ersten Tag des septischen Schocks zu berechnen.

Von 1149 Intensivpatienten, die im Zeitraum 1.11.93 bis 30.3.96 erfaßt wurden, erfüllten n=114 das Kriterium septischer Schock mit einer Letalität von n=54 (47,3 %). Das Neuronale Netz wurde mit 20 Parametern von 91 Patienten trainiert und danach bei 23 Patienten getestet: 93,4 % der Testfälle wurden korrekt vorhergesagt.

In einem weiteren Schritt wurden die Veränderungen der Parameter vom 1. auf den 2. Tag des septischen Schocks mit 91 Patienten trainiert. Die Güte des Netzes wurde mit 23 Test-Fällen überprüft. Dabei sagte das Neuronale Netz alle 10 verstorbenen Patienten als nicht-überlebend voraus.

Von den 13 Überlebenden wurden 12 korrekt als überlebend vorhergesagt, 1 Patient wurde fälschlich als "nicht überlebend" eingestuft (Sensitivität 100 %, Spezifität 92,3 %). Dabei war der APACHE II-Score in beiden Gruppen identisch.

(Vortrag [48]: Prognostische Beurteilung chirurgischer Intensivpatienten mit einem Neuronalen Netz. M. Büssow, S. Wade, R. Brause, E. Hanisch. Deutscher Chirurgenkongreß 1997, München)

Patienten mit septischem Schock;

Daten als Mittelwert und Bereich - Zeitraum 1.11.1993 - 30.10.1995

  Lebende Patienten  Nicht überlebende Patienten
Gesamtzahl; n 26 26
Frauen; n 11
Alter; Jahre 44,2 (17-75)  61,4 (42-81)*
Männer; n 15 18
Alter; Jahre 52,8 (27-74)  62,4 (24-87)*
Alter (gesamt) 50,4 

(17-74) 

62,5* 

(24-87)

Liegedauer; Tage 33,4 (7-82)  17,6 (1-77)*
Beatmungsdauer; Tage 20,4 (0,7-72,5)  15,4 (0,13-75,7)
1. Tag der Beatmung 1,2. Tag der Liegedauer  1,5. Tag der Liegedauer
Pneumonie; Tage 5,4 (0-32)  3,7 (0-21)
1. Tag der Pneumonie 6,9. Tag der Liegedauer  3,5. Tag der Liegedauer
ARDS; Tage 2,2 (0-15)  4,2 (0-22)*
ARDS erstmals aufgetreten 5,4. Tag der Liegedauer  6,2. Tag der Liegedauer
Hämofiltration; Tage 4,6 (0-50)  4,3 (0-35)
Beginn der Hämofiltration 3. Tag der Liegedauer  3,3. Tag der Liegedauer
SIRS; Tage 25,9 (1-71)  12,9 (1-30)
Beginn des SIRS 2,5. Tag der Liegedauer  1,3. Tag der Liegedauer
1. Tag der Sepsis 4,6. Tag der Liegedauer  4,2. Tag der Liegedauer
Septischer Schock; Tage 8,2 (1-22)  5,7 (1-18)
1. Tag des sept. Schocks 4,9. Tag der Liegedauer  5,9. Tag der Liegedauer
Todeszeitpunkt der Patienten   17,6. Tag
Art der Aufnahmediagnose; n Notfallaufnahme 10 

Elektiveingriff 16 

Notfallaufnahme 14 

Elektiveingriff 12 

Kreislaufstab. Flüssigkeiten/ Bezogen auf die Liegedauer     
Erythrocytenkonzentrate; n 14,4 (1-76)  17,7 (0-52)
FFP; n 16 (0-86) 20 (0-163)
Humanalbumin 5%; ml 1667,7 (0-6700 )  4306,8 (0-31300 )*
Humanalbumin 20 %; ml 3395,2 (400-12400 )  4935,8 (0-14500 )*
Plasmaexpander; ml 292 (0-4500)  588,1 (0-2500)*
Natriumbicarbonat; ml 28,4 (0-550)  231,9 (0-950)*
Katecholaminverbrauch    
Dopamin > 1,2 ml/h; n 

Dauer (Tage) 

17 

5,2 (1-26)

15 

3,8 (1-9) 

Früh.Tag der Dopamingabe 6,1. Tag  3,6. Tag 
Dobutamin n 

Dauer (Tage)

13 

4,5 (1-19)

12 

5 (1-17) 

Früh.Tag der Dobutamingabe 7,4. Tag 3,4. Tag
Adrenalin; n 

Dauer (Tage)

16 

6,4 (1-22)

18 

5,9 (1-13) 

Früh.Tag der Adrenalingabe 7,2. Tag 6,2. Tag 
Noradrenalin; n 

Dauer (Tage) 

16 

6,3 (1-22)

16 

6,6 (1-14) 

Früh.Tag d. Noradrenalingabe 5,1. Tag 2,5. Tag 



 

3 Ansätze der Neuroinformatik

Die vorliegende Problematik, Verläufe von verschiedenen Variablen (Blutdruck, Medikation, Laborwerte, etc.) eines Patienten zu beurteilen und die zukünftige Entwicklung vorherzusagen, entspricht der allgemeinen Problematik einer Zeitreihenanalyse. Im klinischen Bereich werden bisher dazu Ratingsysteme verwendet, deren praktischer Wert allerdings sehr eingeschränkt ist, s.o.

 

3.1 Neuronale Zeitreihenanalyse

Ein interessanter Ansatz, medizinische Diagnosen durch adaptive Schätzungen mit Hilfe neuronaler Netze genauer zu machen, wurde bisher von verschiedenen Autoren unternommen, ([49]-[56]). Eine solche iterative Verbesserung hat den Vorteil, daß die subjektiven Vermutungen der beteiligten Ärzte nur einen Startpunkt bilden für eine verbesserte, auf den tatsächlichen Daten beruhende, objektive Diagnose. Der dabei verwendete adaptive Mechanismus basiert auf lokalen Analysemethoden. Im Unterschied zu konventionellen Methoden wie Fourieranalyse, gleitenden Mittelwerten oder Trendkanälen beruhen diese Methoden auf dem Einsatz von lokal adaptiven Systemen, insbesondere künstlichen Neuronalen Netzen. Dazu wird ein Netz mit den bekannten Daten trainiert, bis es nicht nur für die bekannten Daten der Vergangenheit die richtige Vorhersage macht, sondern auch bei aktuellen Werten eine ausreichende Genauigkeit erreicht. Die dazu verwendeten Netze lassen sich als Approximationsnetze [68] bezeichnen, da sie als Aufgabe haben, bei vorliegenden Eingaben und einem Satz von vorgegebenen Parametern den dazugehörigen Funktionswert einer unbekannten Funktion möglichst gut zu approximieren. Die meisten in der Medizin verwendeten Netze sind allerdings statische Netze, welche die Zeit nur implizit als Index der Trainings- und Testmuster enthalten.

Ein wichtiger, methodisch relevanter Anwendungsbereich für Zeitreihenanalysen ist auch die Vorhersage von Aktien- und Wechselkursen mit Hilfe verschiedener Variablen wie Aktienindex, Dollarkurs, Wirtschaftszahlen etc. Obwohl der pekuniäre Nutzen derartiger Vorhersagen sofort einsehbar ist, kann man heutzutage auch hier keine besonders genauen Vorhersagen machen. Trotzdem sind in letzter Zeit einige Fortschritte erzielt worden, die auf dem Einsatz von Neuronalen Netzen beruhen. Beispielsweise gelang es einer Forschungsgruppe der Fa. Siemens (München) im Auftrag eines Bankenkonsortiums, den Prognoseerfolg für Wechselkurse um 30 % zu erhöhen. Dabei war für die Banken (ebenso wie für die vorliegende Fragestellung) besonders die Möglichkeit interessant, herauszufinden, welche Variablen für das Ergebnis entscheidend waren und welche einen besonders geringen Einfluß hatten: die Trennung in unabhängige Einflüsse.

 

3.2 Trennung unabhängiger Einflüsse

Betrachten wir die beobachteten Zeitreihen als Auswirkungen von unabhängigen medizinischen Einflüssen auf eine beobachtete Variable, so muß man für eine inhaltliche Bestimmung (Klassifizierung) und Benennung von Einflüssen zuerst eine Separierung auf ihre Quellen durchführen (blind separation of sources). Das Kriterium für eine solche Trennung von Einflüssen ist die statistische Unabhängigkeit und entspricht einer Minimierung der gemeinsamen Information (Shannon´sche Transinformation) der verwendeten Einflußvariablen.

Diese Idee ist zwar nicht neu, aber sie konnte bisher nicht verwirklicht werden, da es keine praktikablen Verfahren gab, automatisch eine derartige Segmentierung vorzunehmen. Durch die Entwicklung der ICA (Independent Component Analysis) [59] sind nun in den vergangenen vier Jahren allgemein in der Signalanalyse und speziell in der Neuroinformatik effiziente mathematische Verfahren gefunden worden, ein solches Verfahren mittels iterativ-adaptiver Methoden, implementiert mit formalen Neuronen, für Zeitreihen durchzuführen. Die bisherigen Anwendungen der neuen Technik konzentrieren sich im wesentlichen auf das allgemeine Problem der Entmischung von in unbekannter Weise gemischten Signalquellen, beispielsweise Radarsignalen aus Antennenfeldern [60], chaotischen Zeitreihen [61], oder Aktienkursen [58]. Eine direkte Anwendung auf die medizinische Problematik ist bisher nur für EEG- [61] und EKG- Analysen [62] durchgeführt worden.

 

3.3 RBF-Netze

Die bei den bisherigen medizinischen Anwendungen häufig verwendeten, älteren Netztechniken wie "Multi-Layer Perzeptron" und "Backpropagation-Lernen" (s. z.B. [49]) sind allerdings von besseren, neuen Architekturen überholt. Im Unterschied zum Multi-Layer Perzeptron, bei dem jeder Funktionswert von allen Neuronen beeinflußt wird, wird jedes Neuron bei "Radial-Basisfunktionsnetzen" RBF nur von lokalen Regionen des Eingaberaumes beeinflußt und kann deshalb besser und schneller trainiert werden. Durch die rein lokale, situationsabhängige Empfindlichkeit kann man die Funktion der einzelnen Neuronen als "generalisierte Assoziativspeicher" oder "Experten" ansehen. Im Unterschied zum klassischen Assoziativspeicher wird allerdings die Generalisierung automatisch durch den Lernalgorithmus und die Form der Ausgabefunktionen erreicht.

RBF Netze lassen sich in normierter Form gut zur Klassifikation einsetzen. Dabei ist die normierte Aktivität identisch mit einer Bayes-KLassifikation und entspricht damit dem wahrscheinlichkeitstheoretischen Optimum [57].

RBF-Netze bieten über die reine Approximation vorgegebener Funktionen (hier: symbolische Klassifikation oder analoge Befindlichkeitswerte der Patienten) noch eine weitere, wichtige Möglichkeit: das unüberwachte Erlernen unbekannter Funktionen, die sich signifikant von bekannten Funktionen abheben. Beispielsweise kann ein RBF-Netz lernen, eine Folge von Ausschnitten aus verschiedenen chaotischen Zeitreihen zu unterscheiden. Eine weitere Anwendung ist die unüberwachte Segmentierung gesprochener Sprache: auch hier unterscheiden sich die Segmente durch einen Wechsel in den statistischen Parametern. Für die vorliegende Anwendung bedeutet dies, daß die Möglichkeit besteht, nicht nur bekannte septische Krankheitsverläufe zu lernen, sondern von dem System auch verlangen zu können, unbekannte typische Verlaufsstücke zu finden, die zusammengehören und deshalb auch diagnostisch und therapeutisch identifiziert und benannt werden sollten.

 

3.4 Benutzerzentrierte Darstellung der Ergebnisse

Ein weiteres Problem für eine automatische medizinische Diagnose ist die Eingabe der Daten in das Prognosesystem und die Darstellung der gefundenen Diagnose in einer klaren und intuitiv verständlichen Form; mit einem Wort: die Benutzerschnittstelle. Im Unterschied zu klassischen Expertensystemen, bei denen die selbsterklärenden Komponenten über bezeichnende, vorher eingegebene Begriffe verfügen, ist dies bei neuronalen Systemen nicht selbstverständlich. Neuere Ansätze verwenden neuronale Assoziativspeicher, in denen Ausgabemuster mit Texten assoziiert werden [66] oder übersetzen reelle Werte in Regeln und Bezeichner [67].

Der Ansatz unterscheidet sich dadurch, daß die notwendigen vagen Zuordnungen der Bezeichnungen zu den klinischen Erscheinungsbildern mit Hilfe von Fuzzy-Intervallen innerhalb einer intuitiven, graphischen Oberfläche vorgenommen wird. Dabei gibt der Benutzer nur die Minimal- und Maximalwerte seiner Bezeichnung in der Bildschirmmaske an (z. B. "Bluthochdruck" : min=160Hg, max=240Hg); die Parameter der dem RBF-Netz entsprechende Fuzzy-Zugehörigkeitsfunktion werden automatisch im System generiert.

 

3.5 Neuroinformatik-Vorstudien

In der Arbeitsgruppe sind bisher verschiedene Modelle zur Informationsverarbeitung durch Signalverarbeitung und Signalcodierung erarbeitet worden, wobei die Ermittlung der Parameter für minimalen Fehler nach informationstheoretischen Kriterien im Mittelpunkt stand [68], [69]. Es ist bekannt, daß bei linearen Transformationen die Hauptkomponentenanalyse (PCA) den quadratischen Fehler minimiert. Mit dem Paradigma formaler Neuronen als einem Modell massiv paralleler Informationsverarbeitung durch sehr einfache Prozessoren läßt sich nun durch geeignete Lernregeln von einem solchen Netzwerk nicht nur die lineare Transformation durchführen, sondern auch die für die PCA nötigen Eigenvektoren als Gewichte erlernen [70], [71]. Diese Technik wurde für Zeitreihen z.B. an Sprachsignalen erprobt [79].

Ausgehend von der Forderung nach maximaler Informationserhaltung bei der Transformation, die durch nachfolgende Störungen (z.B. Quantisierung) verfälscht wird, ergaben sich aus der Theorie [75] als Bedingungen dekorrelierte, in der Varianz normierte Signale auf allen parallelen Kanälen. Dies führte zu speziellen Lernregeln im neuronalen Modell [72], [73] und zeigte gute Ergebnisse bei der störungsfesten Kodierung z.B. bei Bildsignalen.

Diese Arbeiten lassen sich auch bei der angestrebten ICA einsetzen. Interessanterweise funktionieren fast alle brauchbaren ICA-Algorithmen nach dem gleichen Schema: die Signalquellen werden zuerst zentriert, dann normalisiert und dekorreliert und dann von höheren statistischen Momenten befreit. Diese Entwicklung nach 1., 2. und höheren Momenten läßt sich beim Lernen additiv durchführen: Algorithmen zur Zentrierung, Normalisierung und Dekorrelierung für die PCA werden um Terme für die höheren Ordnungen für die ICA erweitert. Damit bildet unser obiges Modell der orthonormalisierenden Dekorrelationsnetze einen guten Ausgangspunkt, um über die Dekorrelation hinaus eine Unabhängigkeitsanalyse durchführen zu können.

Unabhängig davon wurde auch bereits die Technik der RBF-Netze erprobt und weiterentwickelt. In der industriellen Anwendung bei der Schätzung von Gummiprofilen (ein Problem, bei dem eine unbekannte Funktion von ca. 10 Variablen ohne analytische Kenntnis rein adaptiv ermittelt wurde) ergaben sich gute Erfolge [74].

Zur Zeit sind zwei Diplomarbeiten zur medizinischen Diagnose in Bearbeitung. Eine untersucht die Konzeption einer medizinischen Fuzzy-RBF Schnittstelle für Diagnosen [77]; die andere mit dem Titel "Mortalitätsprognose mit Neuronalen Netzen" [76] ist eng mit der in diesem Projekt behandelten Problematik verknüpft und untersucht die neuronalen RBF-Modelle, um eine Wahrscheinlichkeitsaussage für das Überleben von Patienten der Intensivmedizin zu machen. Grundlage ist eine in der Allgemeinchirurgie aufgebaute Datenbank in Kanada [19] die uns zur Verfügung gestellt worden ist. Eine Ausweitung der Modelle, Kombination mit ICA-Techniken und Anwendung auf die medizinische Problemstellung und die in der Frankfurter Intensivmedizin erstellte Datenbasis ist leicht möglich.

Eine dritte Diplomarbeit zu dieser Thematik untersucht die Mechanismen, um solche Diagnosen auch unabhängig vom jeweiligen Labor am Arbeitsplatz des Arztes und der Assistenten im gesamten Kliniknetz möglich zu machen [78].

Auch ist durch vorangegangene Diplomarbeiten bereits eine gute Softwarebasis verfügbar

  • das Simulationssystem INES zur graphisch-interaktiven Simulation heterogener Module Neuronaler Netze, [81], [82]
  • Module für verschiedenen Modelle Neuronaler Netze [83], [84]
  • Module für Vektor- und Matrixoperationen, Ermittlung von Eigenvektoren etc. [83], [84].

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die bisherigen Arbeiten einen guten Startpunkt für das Forschungsprojekt bieten.

 

4 Das Arbeitsprogramm

Hauptziel des Vorhabens ist, über die Erhebung von Datensätzen zu Diagnostik und Therapie von Intensivpatienten hinaus, die Entwicklung eines Expertensystems auf der Basis einer umfangreichen Datenbank. Das zu erstellende wissensbasierte System soll durch Architektur und automatische Wissensakquisition der Dynamik der Intensivstationsprozesse gerecht werden.

Gleichzeitig wird eine individuelle frühzeitige Prognoseabschätzung und Unterbreitung von Therapieoptionen erwartet. Die dafür notwendige Wissensaquisation soll automatisch durchgeführt werden und auch unbekannte Diagnosekategorien ermitteln. Die Resultate dieser Arbeit werden im Rahmen einer prospektiven Multicenterstudie auf ihren klinischen Nutzen hin überprüft.

Die inhaltlichen Grundideen unseres Ansatzes sind in den vorherigen Abschnitten erläutert worden. In diesem Abschnitt soll nun auf den beabsichtigten Ablauf und die näheren Details des Forschungsprojektes eingegangen werden.

 

4.1 Organisatorischer Überblick

Das Projekt zielte zunächst darauf ab, einfach und schnell Patientendaten zu sammeln und auszuwerten. Die vorläufige Auswertung dieser Daten zeigte gute Erfolge, siehe Abschnitt 2.2. Dies reicht aber nicht aus. Für eine genauere Ursachenanalyse werden mehr Patientendaten benötigt, um über die Einzelfallproblematik hinaus besser generalisieren zu können. Diese Daten lassen sich nur über eine kontrollierte Multicenterstudie ermitteln. Wir hoffen, daß wir, gestützt auf die Auswertung unserer wenigen, vorläufigen Daten, weitere Partner für eine Multicenterstudie und somit weitere Patientendaten finden können.

Die Vernetzung der verschiedenen Datenquellen ist im Frankfurter Klinikbereich noch nicht ausreichend vorangeschritten, so daß wir bisher die Eingabe der Patientendaten per Hand durchgeführt haben. Dies soll sich aber ändern, da eine Computerunterstützung von Diagnosen durch andere Ärzte nur dann akzeptiert wird, wenn sie dem Arzt Zeit spart oder auf wichtige, neue Aspekte aufmerksam macht [87]. Folgende Maßnahmen sollen dies unterstützen:

  • Einbindung der speziellen Datensammlung und -auswertung in das normale Krankenhausinformationssystem (KIS).

Hier soll versucht werden, auch bei den Partnern der Multicenterstudie durch eine von uns eingebaute Datenschnittstelle zu deren KIS eine unproblematische Übertragung der notwendigen Daten zu sorgen und eine aufwendige Dateneingabe per Hand zu vermeiden.

  • Verwendung von einfachen, grafischen, symbolischen Eingaben und Ausgaben.

Eine intuitive, vage Benutzerschnittstelle wurde für die Dateneingabe und -ausgabe im Rahmen einer Diplomarbeit konzipiert und mittels der Sprache C++ implementiert [86].

  • Netzwerkfähigkeit der angestrebten Lösung. Die obigen Konzepte zur Benutzerschnittstelle müssen nun für die Multicenterstudie netzwerkfähig gemacht werden. Dies bedeutet, die Implementierung in der Sprache Java (geeignet modifiziert) vorzunehmen, die Lastverteilung (applets) vorzunehmen und Konzepte mit den Klassenbibliotheken der Laufzeitbibliotheken neu zu implementieren.

Die Benutzer- und Datenschnittstellen sollen von dem Programmierer eingerichtet werden; die anspruchsvolleren Arbeiten wie die Einrichtung des speziellen Internet-Servers sowie die programmtechnische Konzeption und Realisierung der Diagnose- und Prognosesoftware ist Aufgabe des Informatikers.

  • Die sichere, geschützte Dateneingabe und graphische Darstellung von Zeitreihen im Client-Server-Betrieb über das Netz ist ebenfalls Aufgabe der Zusammenarbeit zwischen dem Programmierer und dem Informatiker.
  • Entwicklung von Algorithmen zur nicht-linearen Datenanalyse nach unabhängigen Einflüssen und Ursachen.

Die Datenanalyse nach Ursachen soll mit der Methode der Unabhängigkeitsanalyse (ICA) durchgeführt werden. Eindeutig ist dieses Problem nur für lineare Systeme gelöst. Für nicht-lineare Systeme, wie sie zweifelsohne dem MOF-Syndrom unterliegen, kann man dies nur dann eindeutig lösen, wenn man ein Modell des syndromerzeugenden Systems voraussetzt. Eine solche Modellierung gibt es bisher noch nicht; sie entsteht im Wechselspiel zwischen Analyse und medizinischer Interpretation der Ergebnisse. Sie bildet damit das Herz des Projekts und ist Aufgabe des Teams aus dem Mathematiker und den Medizinern in diesem Projekt. Quantitative, gelernte Modellierungen haben sich in der Medizin schon bewährt, z.B. bei Herzoperationen [92].

Für die erfolgreiche Durchführung des Forschungsprogramms müssen die beiden beteiligten Gruppen eng zusammenarbeiten. Dazu soll ein regelmäßiges Treffen der Mitarbeiter der AG Intensivmedizin und der AG Neuroinformatik eingerichtet werden.

Dabei sollen die Mitarbeiter der AG Intensivmedizin vorwiegend die medizinische Erfassung der Daten und die medizinische Bewertung der Ergebnisse leisten. Die technisch-mathemathische Fragestellung, die Erarbeitung der Diagnoseprogramme und die technische Gesamtkonzeption verantwortet die AG Neuroinformatik.

Da die Programmierarbeiten für die Datenerfassung und -darstellung sehr stark von den Benutzern, also den Ärzten und Dokuassistenten beeinflußt sein müssen, um auch wirklich ein praxistaugliches Diagnosewerkzeug zu entwickeln, ist der Programmierer, dem diese Arbeiten übertragen werden, bewußt bei der AG Intensivmedizin angesiedelt.

Die Arbeiten verteilen sich damit nach folgendem Schema auf die beiden Gruppen:

AG Intensivmedizin

  • Entwicklung der klinischen Aufgabenstellung
  • Aufbau der neuen Datenbank
  • Patienten-Dateneingabe,
  • Evaluation der Relevanz klinischen Diagnose und klinischen Prognosen
  • Identifikation neuer Diagnosen
  • Planung und Vorbereitung einer prospektiven, randomisierten Multi-center Studie (PRMS)
  • Durchführung der PRMS
  • Sammeln der Daten über Internet und Integration der PRMS-Daten in Datenbank
  • Koordination mit den Partnern

Dabei sind verschiedene Programmierarbeiten notwendig:

  • Konkrete Softwarekonzeption des gesamten Datenerfassungs- und Analysesystems
  • Integration der alten Datenbank
  • Aufbau und Anpassung der Masken für Intensivmedizin
  • Integration der Fuzzy & Neuro-Netz-Komponenten in Datenanalyse und Darstellung,
  • Programmierung der Schnittstellen,
  • Ausrichtung des Systems auf Multi-center Plattformen

AG Neuroinformatik

  • Globale Systemkonzeption der gesamten Datenerfassungs- und Analysekonfiguration
  • Anpassung und Entwicklung von Zeitreihenanalyse-Netzen
  • Auswahl der relevanten Eingabevariablen
  • Optimierung der Netzparameter
  • Entwicklung der Prognose- und Therapie-Komponenten
  • Statistische Evaluierung der Ergebnisse

 

4.2 Die Datenerfassung

Die Erfassung, Analyse und Überwachung der intensivmedizinischen Daten sowie ihre Auswertung und ihr Therapieeinfluß basieren auf einem Methoden- und Softwaresystem, das aus verschiedenen Teilen besteht: Datenerfassung, Datenauswertung, Datenhaltung und Datendarstellung. In der folgenden Abbildung ist das zugrunde liegende Verarbeitungsschema visualisiert. Abbildung 4.1 Komponenten des Informationssystems

Die Datenerfassung für die Intensivstation der chirurgischen Universitätsklinik geschieht z. Zt. mit speziell entwickelter PC Software. Dieses Grundsystem ist auf einer Arbeitsstation installiert. Es erlaubt die Eingabe und Bearbeitung der intensivmedizinischen Daten. Im Rahmen dieses Projekts ist die Umstellung der Datenerfassung auf ein mehrplatzfähiges System mit Client-Server-Architektur vorgesehen. Die Software zur Datenerfassung soll im Rahmen dieses Projekts erstellt werden.

Die zu entwickelnde Datenerfassungskomponente wird folgende Funktionen erfassen:

  • Erfassung von Analogdaten (Temperatur, Blutdruck, EKG,..)
  • Erfassung der Digitaldaten (Laborinstrumente, Monitoranschluß, ...)
  • Einspeisung von Daten übers Netz (Labordaten, Krankendaten, ..)
  • Eingabe von Daten per Hand

Die eingegebenen Daten können sowohl im Original angesehen als auch in einer Datenbank abgespeichert werden. Durch die bestehenden Standardschnittstellen ist eine problemlose Integration des Basissystems in die angestrebte Softwarekonfiguration möglich.

Das allgemeine Arbeitspaket zur Datenerfassung und Datenspeicherung kann, bedingt durch die umfangreichen Vorarbeiten innerhalb des ersten Jahres durchgeführt werden. Es besteht im Wesentlichen darin, mit Entwicklungswerkzeugen die Bildschirmmasken zu erstellen, die für die Intensivmedizin notwendig sind. Dabei kann der Programmierer auf einen reichhaltigen Fundus vorhandener Bildschirmmasken und Diagnosekategorien zurückgreifen.

Neben der Aufstellung und Eingabe bekannter Diagnosen liegt eine besondere Aufgabe darin, Möglichkeiten zu schaffen, um neue und unbekannte Diagnosen, die sich aus der Fuzzy-Darstellung ergeben, zusätzlich aufzunehmen und über ihre textuelle Repräsentation (Bezeichnung) hinaus ihre Fuzzy-Definition als Referenz zu speichern.

Das normale Dokumentationssystem muß also nicht nur um eine graphische Darstellungsmöglichkeit von Fuzzy- und Neuro-Daten erweitert werden, sondern es muß auch eine interne Verbindung zu den traditionellen Textmasken hergestellt werden.

Dabei sollte das System auch für zukünftige Erweiterungen und Entwicklungen offen sein. Dies bedeutet konkret, daß für die Multicenterstudie auch die Arbeit im Netzwerkverbund unterstützt werden soll. Die Arbeit mit dem Informationssystem (Dateneingabe, Diagnoseabfrage usw.) soll von allen Stellen des Klinik-Intranetzes bzw. der Internetrechner des Multicenter-Projektsverbunds möglich sein, so daß auch Experten aus anderen internationalen Kliniken problemlos mitarbeiten können.

In Abbildung 4.2 ist ein Überblick über eine solche Arbeitskonfiguration gegeben.

  Abbildung 4.2 Zugriffsstrukturen im Netzverbund

Die für die Dateneingabe und Diagnose nötige, graphische Ausgabe soll durch Bildschirmmasken in html und durch Prozeduren in der Programmiersprache Java erreicht werden, die als sog. Applets auf dem Server gehalten werden. Dadurch kann der Software-Aufwand für die Multicenterstudie sehr klein gehalten werden; die gesamte Benutzeroberfläche kann von den üblichen Standard-Netzbrowsern (Netscape etc.) ausgeführt werden, die für alle wichtigen Betriebssysteme und Rechnertypen kostenlos erhältlich sind. Erhältliche Maskeneditoren und Java-Entwicklungsumgebungen erleichtern diese Aufgabe ungemein.

Zusätzlich vorgesehene Sicherheitsprotokolle (RSA, SSL) garantieren einen personen- und institutionsgerechten Datenschutz auch über offene Netzwerke hinweg.

Bei der Erstellung der neuen Datenerfassungskomponenten fallen also folgende Arbeiten an:

  • Datenbankentwurf. Das Datenmodell der vorhandenen Anwendung ist zu berücksichtigen, um die Übernahme der Daten zu gewährleisten.
  • Erstellen der Datenerfassungskomponente.
  • Integration von Komponenten zur Erfassung von Analog- und Digitaldaten
  • Anbindung des Servers an das Klinikumsnetzwerk.
  • Umsetzung der Benutzeroberfläche auf Netzwerkebene mittels Java -Applets

Obwohl geplant ist, die zu diesem Projekt parallel verlaufende Anbindung der Kliniklabors an das Kliniknetz auch für dieses Projekt zu nutzen, soll die Eingabe der Patientendaten und damit der Fortgang des Forschungsvorhabens nicht von der Vernetzung abhängig gemacht werden. Aus diesem Grund ist zunächst bewußt vorgesehen, zunächst alle Patientendaten per Hand durch Dokumentationsassistentinnen vornehmen zu lassen.

 

4.3 Die Datenhaltung

In der bestehenden Datenbank der Intensivstation sind seit November 1993 die Daten von ca. 1000 Patienten (260 Variablen pro Patient) dokumentiert worden. Die Daten wurden im Zeitraum von drei Jahren erhoben.

Die Datenbank basiert auf dem im PC-Bereich verbreiteten STARBASE-Datenbankformat. Projektiert ist die Umstellung auf eine SQL-Server basierte Datenerhaltung. Hierzu soll der Microsoft SQL-Server auf Basis des Betriebssystems Windows NT eingesetzt werden. Bei der Umstellung der Datenhaltung auf den MS SQL-Server für Windows NT sind lediglich Installationsarbeiten zu leisten. Die erforderliche Datenbank wird bereits automatisch bei der Erstellung der Datenerfassungskomponente erzeugt. Des weiteren sind geringfügige Arbeiten erforderlich, um die Daten aus der bestehenden Datenbank zu übernehmen.

Der Einsatz von einem Server basierend auf dem Industriestandard für Datenbanken (SQL) gewährleistet ein hohes Maß an Datenschutz und Ausfallsicherheit.

Ein weiteres Arbeitspaket besteht in der Schaffung einer Softwareschnittstelle, mit der die Simulationsprogramme für Neuronale Netze effizient und einfach auf den Patientendaten des SQL-Servers zugreifen können und die dazu alle Verwaltungsvorgänge transparent durchführt.

 

4.4 Die Datenauswertung

Die Auswertung und Interpretation der Daten stellt das eigentliche Herzstück des Systems dar und bildet die Basis für Diagnose und Therapievorschläge. Die genannten Ziele sollen dazu mit neueren Analysetechniken erreicht werden, die im folgenden kurz beschrieben sind.

Die Module zur Datenauswertung bestehen im wesentlichen aus Modulen Neuronaler Netze mit unterschiedlichen Funktionen.

  • Eingabe und Training des Netzes mit einem (variablen) Fenster aus den Zeitreihen der Patientendaten
    • Überwachtes Training mit bekannter Diagnose: Bildung von bekannten Klassen
    • Unüberwachtes Training des Netzes zur ICA und Klassifikation: neue Diagnosen
  • Abfrage des Netzes für die Daten eines bestimmten Patienten
    • symbolische Klassifikation: Patientendiagnose
    • Werte-Prädiktion: Vorhersage des Krankheitsverlaufs und der Meßwerte

Wie bereits angedeutet, beruht die von uns vorgeschlagene Diagnose- und Prognosetechnik auf der Analyse von Zeitreihen mit Hilfe der Methoden neuronaler Netze. Neben der statistischen Standardanalyse und der Auswertung durch konventionelle Neuronale Netze sollen dabei die Eignung der Modellgruppe der Radialen Basisfunktionen (RBF) sowie die Unabhängigkeitsanalyse (Independent Component Analysis ICA) untersucht und neue, für die medizinische Fragestellung besonders gut geeignete Modelle daraus entwickelt werden.

Die Modellgruppe der Radialen Basisfunktionen bildet das zur Zeit aktuelle Netzparadigma, das sowohl starke Generalisierungsfähigkeiten besitzt als auch eine schnelle Konvergenz aufweist. Die Modellgruppe ist gut theoretisch untersucht und hat eine Vielzahl praktischer Anwendungen erfahren, auch in der Zeitreihenanalyse.

Alternativ zu den Mechanismen der RBF-Netze soll ein weiteres, vielversprechendes Analyseinstrument untersucht und einbezogen werden: die Dekomposition mit Hilfe der ICA. Dies entspricht dem Konzept, mit lokalisierten Transformationen eine stärkere Unabhängigkeit der den Krankheitsverlauf beschreibenden Variablen zu erreichen als dies bisher möglich war. Die reduzierte Anzahl der zur Datenbeschreibung nötigen Koeffizienten ermöglicht neben einer höhere Kompressionsrate der Zeitreihen bei der Speicherung eine systematische Zerlegung von Signalen nach ihren unterschiedlichen Herkunftsanteilen (blind separation of sources). Bei allen Krankheitsprozessen, die sich aus der Überlagerung verschiedener Einflüsse ergeben, läßt sich so eine Trennung der unabhängigen Anteile voneinander erreichen, die damit Grundlage für die anschließende Klassifikation ergibt.

Das Konzept der ICA ist mathematisch abgesichert [59],[68] und ist in einer Vielzahl von Anwendungen erprobt. Beispielsweise konnte man damit Radarsignale aus Antennenfeldern [60] und chaotische Zeitreihen separieren, Störungen von EKG-Signalen trennen [62] und beliebige lineare Mischungen unbekannter Signale, z.B. von EEG-Signalen [61], entmischen. Dabei ist uns allerdings bewußt, daß die beobachteten medizinischen Auswirkungen nicht als lineare Überlagerung essentieller körperlicher Zustandsvariablen angesehen werden können. Neueste Ansätze zur nichtlinearen Entmischung (s. [58],[64],[65]) werden von uns auf ihre medizinische Relevanz hin geprüft und geeignete Modelle für die medizinische Situation entwickelt.

Geplant ist, Netze aus mehreren Schichten formaler Neuronen nach verschiedenen Netzarchitekturparadigmen aufzubauen. Ein mögliches Netz besteht in der ersten Schicht (hidden layer) aus RBF-Neuronen und wird über Gewichte in der zweiten Schicht zusammengeschaltet. Ein ICA-Lernalgorithmus hat dabei als erster Schritt die Aufgabe, Gruppen von RBF-Neuronen derart einzustellen, daß sie Spezialisten für eine bestimmte Situation werden und damit unabhängige Kanäle bilden. Die Kombination solcher Basissituationen kann dann als zweiter Schritt über eine Klassifikation die eigentliche Diagnose ergeben. Ein solches Zweischrittverfahren hat den Vorteil, daß die Wahrscheinlichkeitsdichte der beobachteten Ereignisse durch den ersten Schritt der ICA-Koordinatentransformation mithilfe der Marginalverteilungen (Wahrscheinlichkeitsverteilungen auf den Einzelkanälen) beschrieben werden kann und deshalb für das anschließende Training der Klassifizierung wesentlich weniger Trainingsereignisse (Patientendaten) benötigt werden, vgl. [59].

Der eigentliche Lernprozeß kann dabei auf zwei verschiedene Arten durchgeführt werden: überwacht oder unüberwacht. Der erste Fall erlaubt das Erschließen von neuen Diagnosen, der zweite Fall garantiert Konsistenz zu bekannten Ergebnissen. Eine effiziente Kombination beider Methoden muß für die vorliegende Fragestellung noch erschlossen werden und ist Teil der durchzuführenden Arbeit.

 

4.5 Diagnose und Prognose

Für die Diagnose ist die Eigenschaft der Radialen Basisfunktionen, Abweichungen in unterschiedlichen Richtungen von den erwarteten Mustern einheitlich durch eine verminderte Aktivität wiederzugeben, ein speziell für die Zeitreihenanalyse wichtige Eigenschaft: Ein Abweichen der aktuellen Patientendaten (Verlaufskurven) von dem typischen Krankheitsverlauf kann so deformationsinvariant toleriert werden. Die Abgrenzung zwischen den Diagnosen kann über die Aktivität durchgeführt werden.

Die Prognose ist eine zusätzliche Funktion, die sich aus den Diagnoseelementen als Musterergänzung erlernen läßt und dynamisch in einem Therapiemechanismus eingesetzt werden kann. Ist für einen gegebenen Patienten eine ungünstige Diagnose erstellt, läßt sich über die Variation der beteiligten Therapieparameter (z.B. Medikamente, Dosierung, Dauer etc.) auf den für diesen konkreten Fall günstigsten Verlauf schließen und es kann so vom wissensbasierten System ein qualifizierter Therapievorschlag dem behandelnden Arzt vorgelegt werden.

Für die Fallbefragung ist das Grundmodell unseres Softwaresystem aus der Sicht des Arztes das des "Kritikers" [90]: Das System bekommt als Eingabe sowohl die patientenspezifischen Daten als auch die bereits getroffenen Entscheidungen (Diagnose, Therapie) des Arztes und hat als Aufgabe, im Fall von Abweichungen zur eigenen Diagnose dies zu melden und Alternativen vorzuschlagen. Dies entspricht dem Wunsch der meisten Ärzte, nicht von einem "allmächtigen Orakel", dem alles erst vorgetragen werden muß, in der Arbeit behindert zu werden, sondern nur anonym kritisiert und in Zweifelsfällen unterstützt zu werden.

Eventuelle Therapiealternativen können vom System über generalisierte Fälle erschlossen werden, die bei ähnlichen physiologisch-ursächlichen, aber unterschiedlichen Therapiedaten einen günstigen Ausgang genommen haben. Das neuronale Netz der Diagnose funktioniert in diesem Fall wie ein kontinuierlicher Assoziativspeicher, der ein angebotenes Muster aus seinen generalisierten Daten ergänzt und Variablenwerte (Therapieformen) anzeigt, die in Diskrepanz zu den Arztvorschlägen stehen.

Im Unterschied zu den Aktivitäten der MEDWIS Projekte soll in diesem Projekt nicht existierendes Expertenwissen in ein Softwaresystem gebracht werden, sondern neue, auch den Experten unbekannte Zusammenhänge erschlossen werden. Dies unterscheidet hauptsächlich das angestrebte Softwaresystem von üblichen KI-Systemen ohne "machine-learning"-Komponente. Ein lernendes KI-Sytem für den Bereich der Intensivmedizin gibt es unseres Wissens noch nicht, s. auch [85]. Ansätze mit neuronalen Netzen, wie z.B. [92], erzielen zwar gute Diagnoseresultate, aber verallgemeinern dies meist nicht durch eine Modellierung und bieten nicht den für eine Akzeptanz erforderlichen Benutzerschnittstellen-Komfort.

Zwar lassen sich unsere Systemkomponenten ebenfalls in Module wie "Eingabekomponenten", "Erklärungskomponenten", "Abfragekomponenten" usw. unterteilen, aber die Komponenten unterliegen keinem Inferenzmechanismus wie dies in symbolischen Systemen üblich ist. Es lassen sich auch Regeln generieren, die gefundene Datenabhängigkeiten widerspiegeln (s. [86]), aber diese Regeln werden immer neu generiert und sind nur zur menschengerechten Darstellung des internen neuronalen Wissens gedacht, nicht zur Auswertung oder Herleitung neuer Zusammenhänge. Die Basismechanismen herkömmlicher KI-Systeme sind damit ungeeignet für das angestrebte System.

Da im Rahmen der Multicenterstudie die Eigenschaft der Software entscheidend ist, über das Netz verschickt und verwendet werden zu können ("Netzwerkfähigkeit"), sind auch die anderen Komponenten der teilweise älteren KI-Systeme, die nicht in Java geschrieben sind, für unsere Anwendung ungeeignet.

 

4.6 Die Benutzerschnittstelle

Die Benutzerschnittstelle ist auf einer "vagen" Sicht der Syndrome und Diagnosen aufgebaut. Sie bedient sich zwar einer Fuzzy-ähnlichen Notation, benutzt aber bestimmte neuronale Netze (RBF-Netze), um mit bestehendem Wissen das System zu initialisieren und neue Erkenntnisse (Gewichte, Neuronen) mittels modifizierter und neu generierter Bezeichner dem Benutzer nahe zu bringen. Dabei hat der Benutzer immer die volle Kontrolle über die Bezeichnung und Definition der Syndrome und Diagnosen. In der folgenden Abbildung 4.3 ist dieses Wechselspiel visualisiert.

  Abbildung 4.3 Interaktiver Transfer von vagem Wissen über spezielle Benutzerschnittstelle

Dabei wird das vage Wissen des Arztes dazu benutzt, das neuronale Netz zu initialisieren. In der folgenden Abbildung 4.4 ist dies näher erläutert. Links im Bild ist die Zuordnung der Blutzuckerwerte zu einer Insulininsuffizienz gezeigt, rechts im Bild die entsprechende RBF-Funktion.

 Abbildung 4.4 Vage Diagnose und RBF-Initialisierung

Die Fuzzy-Regeln entsprechen einem RBF Netz und umgekehrt. Da die Fuzzy-Regeln den Menschen verständlich sind, aber per se noch keinen Lernmechanismus besitzen, und des weiteren für RBF-Neuronen eine Vielzahl gut bekannter Lernmechanismen existieren, aber die direkte Interpretation ungeübten Menschen Probleme bereitet, kann man beide Verfahren zur Kompensation ihrer Nachteile und Kombinationen ihrer Vorteile zusammenkoppeln [68].

Eine visuell-graphische Komponente der Eingabemasken soll es also dem Arzt ermöglichen, ungenaue, vage Bezeichnungen und Diagnosen einzugeben. Die Fuzzy Logik dient damit nur als Schnittstelle zwischen Mensch und neuronalem Netz. Die Initialisierung von RBF-Neuronen mit den klinischen Definitionen von Sepsis, septischem Syndrom und septischem Schock ist so elegant und unproblematisch möglich. Umgekehrt kann man mit Hilfe der vagen Begriffe die numerisch genauen Diagnosen menschengerecht darstellen; die Interpretation der Diagnosen setzt auf bekannten, gelernten Begriffselementen auf. Sind die gefundenen Wertebereiche von den eingegebenen Begriffen zu verschieden oder existieren für einen Wertebereich keine Begriffe, so werden synthetische Namen generiert, die vom Arzt geeignet umbenannt werden können.

Im Folgenden ist als Beispiel die Darstellung der Roh-Eingabedaten und der symbolischen Repräsentation einer Leberzirrhose durch Akoholgenuß [86] gezeigt.

 

Abbildung 4.5 Rohdaten für die Empfänglichkeit von Patienten für Lebererkrankungen

 

 

Abbildung 4.6 Eingabevariablen und resultierenden Ausgaben (Klassen)

Auch die manuelle Festlegung der vagen Wertebereiche und Bezeichnungen ist möglich, siehe nächste Abbildung 4.7.

Abbildung 4.7 Beispiel: Festlegung von DRINKS (Alkoholportionen pro Tag)

Sind die Bezeichnungen eingegeben, so kann das neuronale Netz trainiert werden und die daraus sich ergebenden Netzwerte als Regeln interaktiv dargestellt werden, siehe Abbildung.

 

Abbildung 4.8 Darstellung der Netzparameter als Regeln

Dieses Beispiel soll nur einen visuellen Eindruck des angestrebten Systems vermitteln; es entspricht im Maskenaufbau nicht der internetfähigen Endversion des Systems, die durch die graphischen Java-Bibliotheken und die spezielle Funktionalität der Ursachendiagnose geprägt sein wird. Die oben vorgestellte Schnittstelle soll für die Fragestellung geeignet weiterentwickelt werden. Dabei lassen sich auch neuere Ansätze für Benutzerschnittstellen in traditionellen KI-Systemen (s. etwa [89]) nutzen.

Auch die ICA-Komponenten sollen über eine passende Benutzerschnittstelle mit Bezeichnungen versehen werden können und so die Handhabung der unabhängigen Einflußfaktoren erleichtern.

 

4.7 Evaluierung der Prognose- und Diagnoseleistung

Einen wichtigen Aspekt bildet die Evaluierung der Leistungsfähigkeit der erzielten Systeme.

 

4.7.1 Evaluierung der Prognose- und Diagnoseleistung des Neuronalen Netzwerks

Zu Anfang in der Modellierungsphase und während des Betriebs sollen sowohl Netzaufbau als auch Lernerfolge ständig mit den aktuellen Daten verglichen werden. Dies impliziert eine hohe Patientenrekrutierung (Ziel n = 2000 für die Diagnose "Septischer Schock"), die nur auf Multicenterebene zu erreichen ist und in den ersten beiden Jahren abgeschlossen sein soll. Als Initialereignis wird in einer Arbeitstagung, zu der potentielle Studienteilnehmer eingeladen werden, das Konzept der Diagnose mittels Neuronaler Netze vorgestellt und die Mitarbeit der Teilnehmer an dem Projekt gewonnen. Ein wesentlicher Aspekt der Arbeitstagung wird sein, die zu dokumentierenden Parameter zu bestimmen, mit denen das neuronale Netz belegt werden soll. Um den Erfolg der Implementierung in den beteiligten Kliniken sicherzustellen, müssen wenige, aber relevante Daten pro Patient pro Tag abgerufen werden.

Nach Rekrutierung der Kliniken erfolgt vor Ort die Anpassung des entwickelten Systems an örtliche Gegebenheiten. Um diese Arbeiten so klein wie möglich zu halten, wird bereits bei der Erstellung eine Softwarekonfiguration angestrebt, die auf einer Standard-PC Ausstattung beruht und damit in allen Kliniken sofort einsetzbar ist. Kleinere Softwareänderungen können dann über das Internet an die Teilnehmer verteilt werden (siehe Abschnitt 3.2.3), größere müssen bei den regelmäßigen Besuchen installiert werden.

Über ein zentrales Studiensekretariat werden dann die Daten für das neuronale Netztraining gesammelt. Dies bedeutet praktisch, daß aus den Studienteilnehmern jeden Tag Datensätze mehrerer Patienten in das Studiensekretariat gemeldet werden. Die Erfahrung zeigt, daß dieser Vorgang ständig evaluiert werden muß, um unnötige Datenausfälle zu vermeiden. Da den beteiligten Kliniken alle Ergebnisse des neuronalen Netzes online zu jeder Zeit zur Verfügung gestellt werden, dürften keine Kosten für das Einbringen von Patienten anfallen, dagegen Reisekosten, um entsprechende Anpassungen der Software vornehmen zu können. Daneben müssen auch regelmäßige Studientreffen (mindestens alle 6 Monate) durchgeführt werden. Es wird ein sehr hoher Datenanfall im Studienzentrum erwartet, der nur über eine entsprechende Personalausstattung bewältigt werden kann.

 

4.7.2 Evaluierung der klinischen Relevanz

Die Evaluierung muß in einer prospektiven, randomisierten Multicenterstudie geschehen (2 Studienarme: +/- Neuronales Netz), die im Anschluß an die zweijährige Modellierungsphase des Neuronalen Netzes durchgeführt werden soll. Dabei wird als zentrale Hypothese formuliert, daß die Bereitstellung der Information des neuronalen Netzes zu einer Verminderung der Letalität des Intensivpatienten führt.
Anders formuliert: Ein Patient wird auf die Intensivstation aufgenommen, die vorher als relevant betrachteten Parameter werden in das zentrale Studiensekretariat gemeldet, danach erfolgt die Randomisierung des Patienten in eine von zwei Gruppen. In einer Gruppe wird die Information (Prognose, Therapieoptionen) den behandelnden Ärzten zur Verfügung gestellt, in der anderen nicht. Aufgrund der Information des neuronalen Netzes wird, so unsere Hypothese, die Prognose des Patienten insgesamt besser sein. Diese These erfordert die Rekrutierung einer großen Anzahl von Patienten.

Abhängig von der Zahl der Studienzentren werden darüber hinaus wesentliche Daten zur Epidemiologie der Sepsis erwartet mit Darstellung der Heterogenität hinsichtlich Ätiologie und Therapiemaßnahmen.

 

4.8 Ethische und Datenschutzfragen

Im Untersuchungszeitraum von 2 Jahren werden personenbezogene Daten für das Neuronale Netz gesammelt, die dem Datenschutz unterliegen. Dieser wird durch Verschlüsselungscodes gewährleistet.

Für die Multicenterstudie ist die Situation differenzierter: Patienten werden in zwei Studienarme randomisiert, und zwar erhalten die behandelnden Ärzte einmal die Information des Neuronalen Netzes bezüglich Prognose und Therapieoptionen und einmal nicht. Eine direkte Intervention am Patienten geschieht also nicht.

Es wird natürlich von uns erwartet, daß die zur Verfügung gestellte Information des Neuronalen Netzes die Letalität des Intensivpatienten senkt, obwohl davon auszugehen ist, daß die Intensivmedizin vor Ort optimal gestaltet ist.

Eine Aufklärung des Patienten halten wir deshalb für nicht notwendig, da zum einen, wie bereits erwähnt, keine direkte Intervention stattfindet und wir auch nach zur Verfügungstellung der Information Prognose und Therapieoptionen des Neuronalen Netzes keine Vorschriften hinsichtlich der Therapie vor Ort machen; der behandelnde Arzt bleibt in seinen Entscheidungen frei (d.h. das wissensbasierte System hat beratende Assistentenfunktion).

Dabei machen wir deutlich darauf aufmerksam, daß wir keine Intentionen haben, die Information des Neuronalen Netzes zu einem Therapieabbruch zu benutzen. Vielmehr zielt unser Ansatz dahin, eine bestehende Therapie gezielt verbessern zu können. Uns ist jedoch klar, daß hier eine erhebliche ethische Problematik liegt, da das Neuronale Netz auch mißbräuchlich eingesetzt werden kann. Ganz ausschließen kann man den Mißbrauch nicht; hier würde ein Votum einer Ethikkommission natürlich auch nichts ändern. Trotzdem sind wir der Meinung, daß die Problematik in einer Ethikkommission diskutiert werden muß. Wir sind jedoch überzeugt, daß die Multicenterstudie an diesem Punkt nicht scheitern wird.

 

5 Referenzen

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[30] Protokoll einer prospektiven, (placebo)kontrollierten, randomisierten und doppelblind durchzuführenden Untersuchung zur Prophylaxe der Streßulkusblutung mit Ranitidin und Pirenzepin. E. Hanisch, V. Paolucci, G. Klein, Ch. Hottenrott, A. Encke. 10. Arbeitstagung der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Klinische Studien der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Marburg/Lahn, 10./11.11.1989

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[33] Notwendigkeit der Codebrechung in einer placebokontrollierten randomisierten Streßulkusprophylaxestudie mit Ranitidin und Pirenzepin. E. Hanisch. CAS-Tagung, 12.-14.11.1992, Tübingen

[34] Grenzen chirurgischen Handelns? - Zum Krankheitsverlauf alter Patienten auf der Intensivstation. J. Windolf, U. Eisele, R. Inglis, E. Hanisch. 110. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, 13.-17.04.1993, München

[35] Eine placebokontrollierte Doppelblindstudie mit Ranitidin und Pirenzepin zur Streßulkusprophylaxe - Kein Hinweis für eine erhöhte Pneumonierate unter H2-Rezeptorblockade. E. Hanisch, J. Windolf, G. Klein, F. Naujoks. 14. Arbeitstagung der CAS, Potsdam, 04.-06.11.1993

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